Pressebericht der WELT am SONNTAG |
Das Glück liegt in der Tiefe |
Die Apnoe-Technik macht's möglich - Wassersportler tauchen ohne Atemgerät über 100 Meter tief |
von
Brigitte PaveticWasser ist ihr Element. Maike Münster liebt das
ursprüngliche Gefühl, in die Tiefen der Ozeane hinabzugleiten. 'Das ist
eine besondere Art der Freiheit', sagt sie. Keine Tauchgeräte sind ihr
dabei behilflich. Einzig die Luft, die sie mit Hilfe spezieller
Yoga-Atmung in ihre Lungen zieht, bringt sie in die kalten Gefilde weit
unterhalb der Wasseroberfläche. Vor vier Jahren hat die Athletin ihre
Leidenschaft zur Kunstfertigkeit erhoben. Elegant wie ein Delfin übt
sie sich seitdem in Schwimmbädern oder Seen in der Nähe ihrer
Heimatstadt Duisburg im Apnoe-Tauchen - eine Wassersportdisziplin, die
ihren Namen dem altgriechischen Wort für Atemstillstand verdankt. Die
Lust am Extremen hat Maike Münster gepackt. 'Bei der Schwerelosigkeit
und Ruhe kann ich mich so richtig wegträumen', schwärmt die junge Frau,
die tagsüber ihrem Job als Mediendozentin nachgeht. Die Faszination für
den Unterwassersport brachte der 34-Jährigen auch so manchen Preis ein.
In der Kategorie 'Tieftauchen mit konstantem Gewicht im See' holte sie
sich vor zwei Jahren mit 42 Metern den deutschen Meistertitel. Ihre
Bestzeit im Luftanhalten: Fünf Minuten und 15 Sekunden. Wer sich wie
sie in die Tiefen vortastet, darf kein ängstliches Gemüt sein: Den
Druck auf den Ohren müssen Apnoe-Taucher alle zwei bis drei Meter
ausgleichen, damit ihr Trommelfell nicht reißt. Die Wassermassen
pressen ihre Lungen zusammen, während sie versuchen, allein durch
Muskelkraft und ihre Flossen dem Auftrieb zur Oberfläche zu trotzen.
'Grenzen ausloten', nennt die junge Frau diese Leidenschaft. Panik darf
in diesen Tiefen nicht aufkommen. Wer zu große Sprünge wagt, bekommt
große Probleme beim Auftauchen, dann wird die Luft zu knapp. Die Idee
des Einfachen und Unkomplizierten beim Apnoe-Tauchen steigert die
Faszination und Beliebtheit dieses Extremsports. Man benötigt lediglich
spezielle, überlange Freediving-Flossen, eine kleinvolumige
Taucherbrille und einen Schnorchel. Die Kunst allerdings besteht in
einer speziellen Atemtechnik, durch die der Taucher Sauerstoff im
Gewebe seines Körpers speichert. Dies fördert höchste Konzentration und
Körperbeherrschung. Ihr Glück ganz unten auf dem Grund eines Sees
suchen auch immer mehr Nordrhein-Westfalen. Wenn es 30 Meter tief gehen
soll, ist der Silbersee bei Haltern ein beliebter Treffpunkt. Die
zahlreichen Kurse, die der Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) im
bevölkerungsreichsten Bundesland anbietet, seien oft schon Wochen im
voraus ausgebucht, sagt der Ausbildungsleiter des Tauchsportverbandes
NRW, Paul Mai. Nach dem ersten Boom vor einigen Jahren seien nun
endlich auch Vernunft und professionelle Ausbildung in die Szene
eingekehrt. Unfälle aus Unkenntnis oder Überheblichkeit seien selten
geworden. Der Verband setzt sich allerdings nur für den Breitensport
ein. Er richtet keine Wettkämpfe aus. Der VDST gibt klare
Ausbildungsziele für das Apnoetauchen vor: 'Tauche und trainiere nie
allein' gehört zu den wichtigsten Maximen. Hyperventilieren vor dem
Abtauchen ist ebenso sehr tabu wie ein tieferer Tauchgang als 25 Meter.
Einsteigen in die Ausbildung zum Apnoe-Taucher kann praktisch jeder,
der körperlich fit ist. So kann etwa auch das 'Schnorchelerlebnis' im
Urlaub noch besser und sicherer werden. Extremsportler wie Maike
Münster haben auch Tiefen oder Zeiten im Visier. Dabei werden die
Reglements von Jahr zu Jahr strenger, berichtet Sharanne Wheeler von
AIDA Deutschland. Der Fachverband für Apnoe-Tauchen veranstaltet
regelmäßig Apnoe-Events mit Spaßfaktor oder Wettkämpfe, bei denen die
Sportler bis zum Äußersten gehen, nämlich am Seil in Tiefen von bis zu
100 Meter. 'Wir wollen den Athleten garantieren, dass sie auch sicher
wieder oben ankommen', sagt die Expertin. Als Tauchlehrerin des VDST
bringt Maike Münster auch ungeübte Interessenten unter Wasser.
Regelmäßig veranstaltet sie Apnoe-Seminare. 'Ich will mein Wissen
unbedingt weitergeben', sagt sie. Apnoe sei die älteste Form des
Tauchens und ihr gelinge es, selbst alteingesessene Taucher zu
begeistern. 'Kein technisches Gerät steht im Vordergrund, sondern der
Mensch, der sich beim Apnoetauchen entspannen und eine neue Seite an
sich selbst entdecken kann', erklärt die Extremsportlerin. 'Die Technik
muss nur richtige erlernt werden, und man muss sich an die Regeln
halten, dann kann jeder das Apnoetauchen sicher und ohne Zwischenfälle
genießen.'
Artikel erschienen am 20. Jul 2003 |